Bleibende Erinnerungen: Trainee Erprobungsfahrt Oktober 1998
TRAINEE – ERPROBUNGSFAHRT
Mit der SSS SEDOV von Rostock nach St. Malo im Oktober 1998
ohne Kadetten, bei lockerem Wachdienst, mit tadellosen StürmenWechselnde Rhythmen entsprangen dem unruhigen Seegang!
Sie lag in Rostock vor Anker
mit dreißig Trainees an Bord;
doch jeder Landgang macht kranker,
unser Sinn drängt vom Festland fort!
Der Wind trieb die alte SEDOV am dritten Tage hinaus.
Mit steifem Segel, hart am Wind, war sie endlich in ihrem Zuhaus.
Unter der lichtreichen Brücke über den Belt
schlich das Schiff sich still in die Nacht;
wir verließen der Technik Wunderwelt
und trafen auf des Sturmes Macht.
Bei Windstärke 11 riss ein Segel entzwei.
Doch die alte Dame wurde nicht scheu,
pflügte gischtend und rollend durch die Wasserflut –
das gab selbst den Neuen aus Bayern Mut.
Nichts währt ewig, selbst Poseidons Wüten
endete in den Ölgebieten.
Man flanierte an Deck im Sonnenschein,
spann Seemannsgarn, sprach von daheim,
vergaß die Beulen und den Schmerz
und so manches Mädchen fand ein Russenherz.
Trainees sind stets ein selten Gebräu
aus jung und alt, erfahren und neu,
aus Bleistiftfingern, alten Knochen
man könnte daraus einen Eintopf kochen.
Das ist nicht nötig, denn die heurige Kost
schmeckt ganz ausgezeichnet – auch ohne Wein und Apfelmost.
Nur am Morgen das ewig weiße Brot
und der Tee. Was trinkt man nicht alles in der Not!
Vor Dover wurden alle Segel geborgen.
Und mit Rahgerippen, leer und kahl
tuckert die SEDOV heute und auch morgen
träge dahin auf dem Ärmelkanal.
Kurz vor dem Ziel hat’s uns nochmal erwischt;
es hat gebrodelt, gespritzt und gezischt.
Im Vollmond schimmert das stürmische Meer –
die SEDOV stampft und krängt so sehr,
dass niemand mehr ans Schlafen denkt,
weil das Schiff den Bug in die Fluten senkt
und das Hinterteil hebt,
dass die Koje bebt.
Um 2 Uhr nachts war das Ruder blockiert
man pullte am Notsteuerstand zu viert.
Nun wartet auf uns St. Malô‘s Hafen:
Dort möchte der eine bei- der andere ausschlafen,
wieder andere möchten alles Mögliche sehen,
den Abschiedsschmerz wird man leicht überstehen,
weil wir uns recht bald wiedersehn!
Und liegt sie in Rostock im Winter am Kai,
dann schaut dort so mancher Trainee gern vorbei.
(Aus dem Bordbuch der SEDOV, in dem sich zu jedem Törn die Trainees eingetragen haben.)
Diese Reise bleibt mir in vielerlei Hinsicht immer in Erinnerung. Die Überraschung in Rostock: „Wir segeln ohne Kadetten, die Mannschaft ist glücklich, endlich mal wieder selber bei Segelmanövern mit anzupacken!“
Im Kanal dann heftiger Gegenwind, Windstärke 12. Die Maschine kam nicht mehr gegen an und so entschied sich Kapitän Viktor Mishenev die Nacht über vor der Normandie im Windschatten abzuwarten. Das Auf und Ab der SEDOV glich auf dem „Thron“ im Achterschiff einer Fahrstuhlfahrt im Sitzen: 10 Meter hoch, 10 Meter runter. Und dann, ich hatte die Hundewache von 0 Uhr bis 4 Uhr und vorher kaum ein Auge zugetan wegen der Schräglage, kraxelte ich an Deck, dort wo das Doppelsteuerrad steht: Leer, keiner da. War ich der Letzte an Bord? Mitnichten! Die Mannschaft war damit beschäftigt, das gebrochene Ruderseil, welches nach hinten unter Deck auf den Ruderquadranten läuft, an der Backbordseite zu reparieren. Ansage an mich: Ich sollte wieder unter Deck gehen und achtern ans Notruder. Kein Problem, dachte ich, endlich mal was anderes. Aber so leicht war das nicht. Die Steuerräder werden direkt auf das Ruderblatt gekoppelt, ohne Dämpfung. Die Grundseen waren so heftig, dass man selbst mit vier Mann das Ruder kaum halten konnte. So wurde nach einer Stunde das Kommando gegeben: Abdrehen in Richtung Normandie, in den Windschatten der Küste.
Volker Börkewitz